Nutzungsausfallentschädigung
1. Anspruchsgrundlage
Erleidet ein Kraftfahrzeughalter schuldlos einen Unfallschaden, so ist er nach den schadenersatzrechtlichen Vorschriften des BGB so zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis stehen würde.
Dieser Anspruch umfasst nach der Rechtsprechung zu §§ 249 ff. BGB auch eine Nutzungsausfallentschädigung für das Fahrzeug, das während der Reparaturzeit, oder - bei Totalschaden - für die
erforderliche Dauer der Wiederbeschaffung, nicht genutzt werden kann. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in mehreren Entscheidungen festgestellt, dass die fehlende Verfügbarkeit oder
Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs einen Vermögenswert darstellt und mithin der durch einen schuldlos erlittenen Unfall entstandene Verlust der Nutzungsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs zum
Schadenersatz verpflichtet (BGH DAR 64, 81; NJW 68, 1778; NJW 76, 286). Zweifel, ob die Rechtsprechung hierzu noch gültig sei, hatte der 5. Senat des BGH (Vorlagebeschluss NJW 86, 2037). Der große
Senat für Zivilsachen entschied nach eingehender Prüfung, dass es beim Nutzungsausfall, auch für Kraftfahrtzeuge verbleibt (DAR 86, 350; vgl. auch Grunsky, Neue höchstrichterliche Rechtsprechung zum
Schadenersatzrecht, JZ 86, 170; Riedmaier, Kfz - Schaden im Licht der neueren Rechtsprechung, VersR 86, 728; Medicus, zu den Voraussetzungen für die Zuordnung eines Nutzungsausfalles als
ersatzfähiger Vermögensschaden, EWIR 86, 1071; Weber, Entschädigung für entgangenen Gebrauch eines Kraftfahrzeugs VersR 85, 110).
1.1 Voraussetzungen
Der Geschädigte kann nur dann eine Nutzungsausfallentschädigung (NE) mit Erfolg geltend machen, wenn der beschädigte Wagen ausgefallen ist und er diesen, während der Reparatur- oder
Wiederbeschaffungszeit überhaupt hätte benutzen können (BGH DAR 74, 18). Anspruchsvoraussetzungen sind mithin nach dem BGH Nutzungsmöglichkeit und Nutzungswille seitens des Geschädigten (BGH NJW 66,
589). Nach Auffassung des OLG Celle (VersR 73, 717) spricht die Lebenserfahrung grundsätzlich dafür, dass der Halter eines Wagens sein Fahrzeug laufend benutzt, so auch AG Köln (DAR 84, 225). Keine
NE wurde vom BGH zugesprochen bei Vorhandensein eines ungenutzten Zweitfahrzeugs, hier ist eine ersatzweise Nutzung dieses Fahrzeugs zumutbar (BGH DAR 85, 319 ebenso KG VM 85, 63; OLG München VRS 78,
401; LG München I VersR 92, 888). Ein Anspruch auf NE ist auch dann nicht gegeben, wenn der einzige Nutzer des Fahrzeugs unfallbedingt bettlägerig ist (BGH VersR 78, 803; DAR 82, 160; DAR 83, 163;
OLG Hamm ZfS 83, 140; a. A., LG Berlin ZfS 91, 46; Hamann NJW 70, 889; Riedmaier, VersR 77, 6 ff.). Wird dagegen von dritter Seite ein Fahrzeug unentgeltlich zur Verfügung gestellt, so besteht
Anspruch auf NE (OLG Hamm ZfS 84, 230; LG Osnabrück VersR 84, 1178). Verneint wurde ein Anspruch auf NE bei nur ästhetischer Beeinträchtigung des Fahrzeugs (Lackierung) (LG München I DAR 93,
264).
1.2 Kreis der Betroffenen
Anspruchsberechtigt ist der schuldlos geschädigte Kfz - Halter, wenn er das Fahrzeug selbst während der Ausfallzeit nicht nutzen kann, oder wenn Familienangehörige oder andere Personen das Fahrzeug
regelmäßig benutzen (BGH DAR 74, 18; OLG Düsseldorf DAR 74, 215; VersR 85, 149; BGH NJW 76, 1396; OLG Frankfurt/Main ZfS 81, 237 (bei Ehegatten); BGH DAR 75, 183 (für Verlobte); KG VersR 70, 185 (OHG
als Geschädigte) ). Wurde ein Ermittlungsverfahren gegen den Halter mit Beschlagnahmung des Fahrzeugs eingeleitet, so wird ein Anspruch auf NE vom LG Itzehoe (ZfS 84, 102) verneint.
Keinen Anspruch auf NE hat grundsätzlich der Leasinggeber (AG Düsseldorf ZfS 85, 359) oder der Halter eines PKW mit roten Kennzeichen (LG München, ZfS 85, 198).
1.3 Bemessungszeitraum
Grundsätzlich besteht Anspruch auf NE für die Dauer der Reparatur- oder Wiederbeschaffungszeit. Dem Geschädigten ist jedoch nach der Rechtsprechung auch eine Prüfungsfrist einzuräumen, um die sich
der Anspruchszeitraum verlängert. So wurde der Fristbeginn für die Wiederbeschaffungszeit nach einem Totalschaden in Urteilen des OLG München und des LG Köln ab Vorliegen des
Sachverständigengutachtens angesetzt (VersR 74, 1186; VersR 77, 161). Auch für die Dauer einer wirtschaftlich sinnvollen Notreparatur ist ein Anspruch auf NE gegeben (AG Köln ZfS 81, 333), ebenso bei
Selbstreparatur
(LG München I ZfS 81, 207; LG Berlin ZfS 91, 46; LG Hamburg ZfS 90, !93 ). Nicht jedoch bei einer Reparaturdauer von ½ Stunde (AG Bad Säckingen ZfS 86, 362). Bei unfallbedingter Verletzung des
Geschädigten beginnt die Frist für die NE mit der Genesung (LG Würzburg ZfS 88, 207).
Ist die Wiederbeschaffung eines gleichwertigen Fahrzeugs aus eigenen Mitteln nicht möglich und nach Vorschussanmahnung oder Ankündigung der Kreditaufnahme vom Versicherer keine entsprechende Leistung
erfolgt, so ist für die Wartezeit die NE zuzusprechen (OLG Köln VersR 73, 323; OLG München VersR 69, 1098; OLG Nürnberg - 209 Tage - - DAR 81, 14; Vorhaltekosten für 523 Tage, wenn Finanzierung nicht
möglich - OLG Saarbrücken ZfS 90, 4112 m.w.H. = NZV 90, 388). Gleiches gilt auch bei Totalschaden eines Motorrads (LG Oldenburg ZfS 83, 141). Vom OLG Hamm (ZfS84, 232; MDR 84, 490) wurde allgemein
die Wartezeit bis zur Kostenübernahmeerklärung des Versicherers nicht als erstattungsfähige Nutzungsausfallzeit angesehen.
Wird statt der Reparatur die Anschaffung eines Neufahrzeugs gewählt, so ist für die NE die vom Sachverständigen ermittelte Reparaturzeit zugrunde zu legen (LG Berlin DAR 92, 264). Besteht
Verpflichtung zum Neuwagenersatz, so ist bei einer Lieferfrist von 114 Tagen ein Interimsfahrzeug anzuschaffen (OLG Schleswig NZV 90, 150). Bei hochwertigen Fahrzeugen (BMW 850i) besteht indessen
Anspruch auf NE auch für vier Monate Lieferzeit eines Neuwagens (OLG Karlsruhe DAR 94, 26).
Wird im Sachverständigengutachten keine angemessene Wiederbeschaffungszeit benannt, so beträgt diese üblicherweise 14 Tage (KG VRS 70, 432; OLG Karlsruhe VersR 81, 885), sonst die nachgewiesene Zeit,
in der sich der Geschädigte um ein Ersatzfahrzeug bemüht hat (OLG Bremen VersR 69, 333; OLG Koblenz VersR 78, 575; LG Saarbrücken ZfS 84, 136), bei selteneren Fahrzeugen oder bei Feiertagen
(Weihnachten/Neujahr) 21 Tage (AG Berlin - Charlottenburg VersR 86, 498). Verzögerungen der Reparatur z.B. durch Streik gehen zu Lasten des Schädigers (AG Solingen ZfS 85, 199).
1.3 Schadenminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 BGB )
Nach dieser Vorschrift hat der Geschädigte die Verpflichtung, sachdienliche und vernünftige Maßnahmen, die ihm möglich und zumutbar sind, zu unternehmen, d.h. unverzüglich ein
Sachverständigengutachten erstellen, die Reparatur vornehmen zu lassen oder ein Ersatzfahrzeug zu erwerben. Vom Geschädigten verschuldete Verzögerungen gehen nicht zu Lasten des Versicherers (LG
Amberg DAR 83, 25). Dies hat auch der BGH (GSZ DAR 87, 353) bestätigt.
Die Frage, ob Anspruch auf NE auch bei Abrechnung auf Kostenvoranschlags- oder Sachverständigengutachtenbasis besteht, war längere Zeit in Literatur und Rechtsprechung umstritten (bejahend: Jung, DAR
82, 2; verneinend: Fuchs - Wissemann, DAR 82, 213).
Bejaht wurde ein Anspruch ohne Reparaturnachweis oder bei Weiterverkauf im unrepariertem Zustand vom OLG Düsseldorf (ZfS 80, 170), dem LG Aachen (ZfS 80, 363), dem LG Koblenz (ZfS 84, 268) und den
Amtsgerichten Darmstadt (ZfS 84, 39), Erkelenz (ZfS 80, 298), Köln (ZfS 80, 332; VersR 81, 566; DAR 80, 174), Recklinghausen (ZfS 81, 137), Paderborn (ZfS 85, 199), Hagen (ZfS 85, 75), Lüneburg (ZfS
82, 105 mit Einschränkungen), St. Ingbert (ZfS 82, 264). Bei Eigenreparatur wurde ein Anspruch bejaht vom LG Düsseldorf (ZfS 80, 363; ZfS 83, 139 m. w. H.; LG München I ZfS 88, 207), LG Berlin (ZfS
91, 46; LG Hamburg ZfS 90, 193). Für die Reparaturdurchführung ist die Vorlage von Fotos des reparierten Fahrzeugs als Beweis ausreichend (LG Oldenburg DAR 93, 264).
Bei unreparierter Weiterbenutzung des beschädigten Kraftfahrzeugs oder Abrechnung auf abstrakter Basis wurde ein Anspruch auf NE verneint vom BGH (DAR 76, 265), dem OLG Nürnberg (VersR 73, 865), dem
LG Aachen (ZfS 82, 264 m. w. H.), Düsseldorf (VersR 83, 1085; ZfS 84, 10 m. w. H.), Frankfurt (r + s 81, 127), Gießen (ZfS 81, 167), Hanau (ZfS 81, 204), Kassel (VersR 81, 939), Köln (ZfS 85, 199),
Paderborn (ZfS 83, 201), Mannheim (r + s 83, 16), München (ZfS 83, 16), Saarbrücken (ZfS 85, 75), Schweinfurt (r + s 83, 16), Wuppertal (ZfS 84, 39 m. w. H.). Eine ablehnende Haltung zum fiktiven
Nutzungsausfall nehmen auch die Amtsgerichte Aschaffenburg (r + s 81, 149), Bochum (ZfS 83, 140 m.w.H ), Darmstadt (VersR 86, 498), Duisburg (VersR 81, 761), Köln ( ZfS 81, 333), Mannheim (ZfS 82,
9), Mönchengladbach (ZfS 82, 105), Nordhorn (ZfS 82, 9) und St. Blasius (DAR 81, 325) ein. Die tatsächliche Ausfallzeit während der Reparatur ist nachzuweisen nach einer Entscheidung des LG Köln (ZfS
85, 199) oder es sind die Reparaturkosten nachzuweisen (OLG Köln r + s 88, 106; LG Hamburg r +s 90, 122). Nach überwiegender Auffassung in der Rechtssprechung ist mithin derzeit ein Anspruch auf
Zahlung einer NE bei Abrechnung auf abstrakter Basis oder Weiterbenutzung des unreparierten Fahrzeugs nicht gegeben. Dies hat auch der BGH (GSZ DAR 86, 353) bestätigt.
Zur Vermeidung einer ungewöhnlich langen NE - Zeit und damit hoher Kosten ist der Geschädigte verpflichtet, soweit ihm dies möglich und zumutbar ist, ein Ersatzfahrzeug zu erwerben oder finanzieren
zu lassen (LG Saarbrücken VersR 76, 475).